Es gibt Situationen, die man nie vergisst, weil sie Entscheidungen erfordern, die das Leben grundlegend verändern.
Meine Eltern hatten sich bald nach meiner Geburt getrennt und ich hatte meine Mutter sehr früh durch eine Krankheit verloren. Deshalb war ich sehr froh, einen Partner gefunden zu haben, mit dem ich schon eine ganze Reihe von Jahren zusammen lebte. Unsere Gemeinschaft schien im Großen und Ganzen harmonisch zu sein. Hin und wieder sprach ich mit ihm auch über Kinder und dabei reagierte er meist sehr ausweichend. Irgendwie ergab es sich, dass ich die anfangs sehr konsequente Verhütung mehr und mehr vernachlässigte, ohne dass es zu einer Schwangerschaft gekommen wäre. Schließlich war ich der Meinung es würde mit uns ohnehin nicht funktionieren. Da meine Regeln sehr unregelmäßig waren, dachte ich mir nicht viel dabei, wenn sie einmal etwas länger ausblieben. Dies war auch an jenem Tag der Fall, als ich meinen Frauenarzt zu einer Routinekontrolle aufsuchte.
Ich kann das Durcheinander meiner Gefühle kaum beschreiben, als er mir nach der Untersuchung mitteilte, dass ich schwanger sei. In einem Moment freute ich mich und im nächsten dachte ich, meine Welt bricht zusammen. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich soweit gefasst hatte, dass ich im Stande war, meinem Partner die Neuigkeit mitzuteilen. Seine Reaktion war schroff und sehr eindeutig. Was unsere gemeinsame Zukunft betraf, sagte er zu mir: „Ein Kind kommt für mich nicht in Frage. Entscheide dich: Entweder ich oder das Kind!“ Dieser Satz stürzte mich in einen furchtbaren Zwiespalt. Eine Fülle von Gedanken und Überlegungen stürmte auf mich ein. Einerseits hätte ich gerne ein Kind gehabt, nicht aber unter diesen Umständen. Wie sollte das Leben weiter gehen? Ich würde den Menschen verlieren, der mir bisher der Nächste war. Ich wäre alleine mit einem Kind. Meine berufliche Laufbahn würde zerstört sein, das Leben wäre komplett anders. Ich sah keine positive Zukunft mehr vor mir. So entschloss ich mich, meinen Arzt wieder aufzusuchen, um mich wegen eines Schwangerschaftsabbruches beraten zu lassen. Ich rechnete mit einem kurzen, sachlichen Gespräch und hoffte eigentlich auch, dass es schon auf Grund des überfüllten Wartezimmers so ablaufen würde. Es kam aber ganz anders. Nach einer neuerlichen Untersuchung informierte er mich kurz über die Bedingungen und Möglichkeiten eines Abbruches und fragte mich anschließend, was mich denn zu einem solchen Schritt veranlassen würde. Er hörte sich in Ruhe meine Geschichte an, stellte hin und wieder eine kurze Zwischenfrage, nickte mehrmals mit dem Kopf und meinte, nachdem ich mich ausgesprochen hatte: „Ich kann Sie sehr gut verstehen! Da haben Sie wirklich eine ganze Reihe Probleme. Sie müssen sich bei all dem gut überlegen, was Ihnen das Wichtigste ist. Manche Probleme lassen sich lösen, vielleicht nicht immer ganz leicht, aber doch. Natürlich sind Sie frei in Ihrer Entscheidung, aber die Entscheidung müssen SIE treffen. Wenn ich mich in Ihre Lage versetze, scheint es mir das Wichtigste zu sein: Sie möchten nicht alleine sein.“. Und nach einer kurzen Pause sagte er mir:„ Wenn Sie mich fragen, kann ich Ihnen nur Eines sagen: Ein Mann, der Sie auf diese Weise vor eine solche Entscheidung stellt, und dem die ganze gemeinsame Vergangenheit so wenig wert ist, verlässt Sie über kurz oder lang sowieso. Wenn es für Sie darum geht, nicht allein zu sein, würde ich mich an Ihrer Stelle für das Kind entscheiden!“
Ich bin seinem Rat gefolgt. Es ist mir nicht leicht gefallen, aber noch heute, viele Jahre später bin ich ihm dankbar, dass er sich für mich Zeit genommen hat und ich kann nur sagen: Er hat auf der ganzen Linie recht gehabt.
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